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Aggression beim Hund - aus tierärztlicher Sicht

Bevor wir uns mögliche Ursachen von Aggression genauer anschauen, wollen wir diese innerhalb des Verhaltensrepertoires von Hunden einordnen. Aggression ist dem sogenannten „agonistischen Verhalten“ zuzuordnen und dient dem Ziel, eine räumliche und/oder zeitliche Distanz zur (vermeintlichen) Bedrohung herzustellen. Dieses Verhalten muss somit deutlich vom Jagdverhalten abgegrenzt werden, welchen das Ziel der Distanzverringerung zur (vermeintlichen) Beute verfolgt.
Laut Wikipedia wird Agonistik in der Verhaltensbiologie als die Gesamtheit aller Verhaltensweisen bezeichnet, „die mit Rivalität, Wettbewerb und Konkurrenz verbunden sind [...]. Dazu zählen der Angriff (welcher gehemmt oder ungehemmt stattfinden kann), die Flucht und die Deeskalation.

 

Der tierärztliche Blickwinkel

Aggression ist daher erstmal ein Normalverhalten, solange sie in entsprechendem Kontext und angemessener (also dem Auslöser angepassten) Intensität gezeigt wird. Die meisten Zwischenfälle mit Hunden, die zum Glück im größten Teil der Fälle glimpflich ausgehen, sind als Normalverhalten einzustufen, deren Auslöser zum überwiegenden Teil eine Distanzunterschreitung oder mangelnde Wahrnehmung der ersten Warnsignale des Hundes sind.


Als Verhaltensstörung bei Hunden wird Aggression dann bezeichnet, wenn das Ausmaß oder die Häufigkeit von Angriffen in keinem Zusammenhang mit der Intensität der Bedrohung stehen.
Es muss hier auch klar festgehalten werden, dass die generelle Aggressionsbereitschaft eines Hundes viel stärker durch Lernen und Erfahrung beeinflusst wird als durch genetische Faktoren. Bei Angstbereitschaft ist dies etwas anders – hier spielen genetische Faktoren eine etwas größere Rolle.


Was aber einen sehr großen Einfluss auf die Entstehung von aggressivem Verhalten hat, sind körperliche Ursachen und Krankheit. Im Folgenden möchte ich nun einige Ursachen aufzählen, die jedenfalls bei Auftreten von Aggressionsverhalten abzuklären sind.

 

Als neurologische Ursachen kommen eine lange Liste von Erkrankungen in Frage, die allerdings typischerweise gerne in bestimmten Lebensphasen auftreten. Missbildungen im Gehirn oder auch der Blutgefäße in der Leber sowie Infektionskrankheiten wie z.B. die Staupe treten zumeist bei der jungen Tieren auf, während die senile kognitive Dysfunktion (ähnlich der Demenz beim Menschen), tumoröse Geschehen im Gehirn oder Gelenkerkrankungen eher die älteren Hunde betreffen.

 

Im Erwachsenenalter sind sehr häufige Ursachen für Verhaltensänderungen die Epilepsie, Hirnhautentzündungen, Schilddrüsenunterfunktion oder chronische Bandscheibenvorfälle. Auch degenerative Gelenkerkrankungen wie HD oder ED können schon im frühen Erwachsenenalter Schmerzen verursachen. Schmerz ist ohnehin der relevanteste Auslöser für Aggressionsverhalten bei Hunden und wird leider viel zu oft übersehen oder zu spät erkannt.
Die Liste von Erkrankungen die zu Verhaltensveränderung bis hin zur Aggression führen können, ist also nahezu endlos lang. Jede negative Änderung des körperlichen Zustandes kann dazu führen, dass das Verhalten eines Individuums vom Normalzustand abweicht und sich durch das Unwohlsein chronischer Stress entwickelt – jeder, der schon mal krank war, kann das vermutlich nachvollziehen.

 

 

Hier ein grober Überblick über mögliche körperliche Ursachen für Aggression bei Hunden:


    •    Gelenkerkrankungen, Erkrankungen des Bewegungsapparates inklusive Wirbelsäulenveränderungen, Verspannungen
    •    neurologische Erkrankungen wie Epilepsie, Tumore des Gehirns oder der peripheren Nerven, kognitive Dysfunktion beim älteren Hund
    •    hormonelle Erkrankungen wie Unter- oder Überfunktion der Nebenniere, Unterfunktion (bzw. viel seltener auch eine Überfunktion) der Schilddrüse, hormonelle Abweichungen im Sexualzyklus bei der Hündin, Hodentumore, Veränderungen der Prostata
    •    Einschränkung der Sinne (Blindheit, Taubheit)
    •    Infektionskrankheiten (Gehirnhautentzündung, Staupe oder die gefürchtete Tollwut, bei Jagdhunden bitte nicht auf die Aujeszkysche Krankheit vergessen)
    •    Zahnschmerzen, Veränderungen der Maulhöhle
    •    chronische Magen-Darm-Probleme wie Gastritis, Unverträglichkeiten, chronische Durchfälle

 

Hinweise, dass es eine körperliche Ursache von Aggressionsverhalten geben könnte sind unter anderem ein plötzliches oder aber auch periodisches Auftreten der Verhaltensänderung, ein Zusammenhang mit Berührung, die früher toleriert wurde oder eine veränderte Reaktion auf Reize, die bisher als positiv oder neutral wahrgenommen wurden.

 

Bevor wir also in die Problemlösung bei Aggressionsverhalten gehen, ist eine veterinärmedizinische Abklärung unbedingt anzuraten. Sollte sich im Zuge dessen glücklicherweise herausstellen, dass keine körperlichen Ursachen gefunden werden können oder die körperliche Ursache entsprechend behandelt werden, dann sind kompetente, empathische Verhaltenstrainer:innen am Zug, die den Mensch-Hund-Teams gewaltfreie, wissenschaftlich fundierte und die individuellen Umstände berücksichtigende Werkzeuge an die Hand geben, um den Alltag entspannt zu meistern und keine Gefahr für die Mitmenschen darzustellen.

 

Mag.a med. vet. Manuela Lambor, CCRP

Hundefitness – Bewegungstraining - Rehabilitation

www.vöht.at/manuela-lambor/

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Anmerkung der VÖHT:

Die Blogtexte geben die individuelle Meinung und Herangehensweise der Autorin, des Autors wieder.

Bilder: c)lambor, pixabay