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Erziehung neu denken

Ist HundeERZIEHUNG überhaupt noch zeitgemäß?

Gut erzogen oder doch lieber gut gefördert? Diese Frage stelle ich mir in den letzten Monaten ständig. Und heute möchte ich dich mit auf die Reise nehmen, um (für mich persönlich) diese Frage zu klären. Und vielleicht stimmst du mir während dieser Reise in einigen Punkten zu oder kannst aus meinen Gedanken etwas für dich, deinen Hund, deine Klienten mitnehmen. Ganz unter meinem Lieblingsmotto: Alles kann, nichts muss. So lade ich dich nun ein, mich zu begleiten, um die Hundeerziehung aus einer komplett neuen Perspektive zu betrachten.

 

Erziehung – eine Sache der Einstellung?

Gibt man den Begriff Erziehung in die Suchmaschine ein, dann stößt man auf verschiedenste Definitionen. Doch eines haben alle gemein: Erziehung wird als bewusster Eingriff betrachtet, mit dem Ziel, Verhalten von Mitmenschen (meist von Kindern oder in unserem Fall von Hunden) dauerhaft zu verändern.


Was man nun allerdings aus dieser Definition macht, ist sicherlich eine Sache der eigenen Erfahrung, Interessen und Wissenslage. So umschreibt Speck in seinem Buch „Chaos und Autonomie in der Erziehung“ den Aspekt von Erziehung mit folgenden Worten sehr treffend: „Dabei werden auf beiden Seiten gemäß dem ihr eigenen Ansatz (System) Interessen ins Spiel gebracht: aufseiten des Erziehenden u. a. erzieherische ‐ was auch immer darunter verstanden werden mag ‐ aufseiten des Edukanden als eines Menschen, der sein Selbst unter erzieherischen Einfluss zu entfalten und seine Autonomie zu bewahren hat.“


Hervorzuheben ist besonders der Passus „was auch immer darunter verstanden werden mag“. Und genau das ist der alles entscheidende Punkt, der auch in der Hundeerziehung ein wichtiger ist. Denn im Grunde genommen verfolgen alle Hundehalter, Hundetrainer und sonstige Menschen, die mit Hunden arbeiten, dasselbe Ziel: Einen gut erzogenen Hund, der in einer von uns und für uns Menschen gemachten Welt gut zurechtkommt. Wie der Weg dahin allerdings aussieht, das ist eine andere Sache.

 

Gehen wir aber noch einmal zurück zum Aspekt des „gut Zurechtkommens“. Auch das ist ein unglaublich dehnbarer Begriff. Wann kommt ein Hund gut zurecht? Und vor allem: Wer entscheidet das, ob und wann ein Hund gut zurechtkommt?


Meist sind es wir Menschen, die diese Entscheidung für unseren Hund treffen. Nun würde ich gerne sagen, dass unsere Hunde es uns gar nicht sagen können, wenn sie nicht gut zurechtkommen, und wir das daher für sie entscheiden müssen. Das wäre dann allerdings gelogen. Denn unsere Hunde zeigen uns ständig durch ihr Verhalten, wenn sie eben nicht gut zurechtkommen. Im schlimmsten Fall reagieren sie dann nämlich mit problematischem Verhalten, welches jedoch wiederum nichts mit mangelnder Erziehung zu tun hat. Was man jedoch aus diesen Informationen, die uns unsere Hunde ständig geben, macht, ist die Frage, wie man für sich selbst Erziehung definiert.

 

Erziehung und ihr negativer Schatten

Ich persönlich mag den Begriff Erziehung überhaupt nicht, weil damit eben so viel Negatives mitschwingt. Vor allem auch in der Hundewelt. Erziehung wird oftmals mit (unnötiger) Strenge in Verbindung gebracht.

 

Es stellt sich aber auch die Frage, was überhaupt einen gut erzogenen Hund ausmacht. Auch hier gehen die Meinungen auseinander. So wird ein gut erzogener Hund oftmals damit in Verbindung gebracht, wie gut er auf Befehle (ich bevorzuge das Wort Signale) seines Menschen reagiert. Nicht nur wie schnell diese ausgeführt werden, sondern auch wie lange und ohne diese in Frage zu stellen. In meinen Augen passt solch eine Vorstellung eher zu einer Maschine und weniger zu einem Hund. Denn Hunde sind (wie wir) auch Lebewesen mit Schwächen und Stärken, Bedürfnissen und Interessen, positiven und negativen Erfahrungen. All das und noch viel mehr spiegelt sich in ihrem Verhalten wider. Denn die Psyche des Hundes ist ähnlich komplex wie unsere.

 

Gut gefördert zum gut erzogenen Hund?

Wenn ich an einen gut erzogenen Hund denke, dann verbinde ich das vielmehr mit einem Hund, der gut gefördert aufwachsen konnte, sodass er sich auch in nicht alltäglichen Situationen selbstständig adäquat verhalten kann. Denn funktioniert alles ganz von allein, ohne (viel) Zutun meinerseits, dann bringt das eine unglaubliche Leichtigkeit mit sich.

 

Nicht nur für mich als Mensch, sondern auch für meinen Hund.

 

Und genau das ist für mich persönlich schlussendlich das Zeichen, ob ein Hund tatsächlich gut zurechtkommt. Denn Signale zu befolgen ist das eine, aber auch ohne Signale angemessenes Verhalten zeigen zu können, ist noch einmal etwas ganz anderes. Unsere Hunde sollten nicht in kompletter Abhängigkeit zu uns leben müssen, sondern ein gewisses Maß an Selbstwirksamkeit erleben dürfen und damit auch zurechtkommen können.

 

Das wegerzogene Trauma?

Manchen Hunden hat das Schicksal schlechte Karten zugeteilt. Nicht jeder Hund hatte eine bilderbuchhafte Welpenzeit und/oder musste danach negative Erfahrungen machen. Infolgedessen kann es bei unseren Hunden ebenfalls zu Traumen kommen. Diese lassen sich weder ungeschehen machen noch löschen. Es sind Narben, die sie ihr Leben lang mit sich tragen. Wir können aber die Gewichtung dieser verändern. Das schaffen wir nicht, indem wir unseren Hund darauf trainieren oder eben „erziehen“, Signale zu befolgen und negative Gefühle außen vor zu lassen oder hinunterzuschlucken. Ganz im Gegenteil,  gerade bei Hunden mit Narben auf der Seele sollten wir Menschen gut fördern. So kann der Hund über sich hinauswachsen und  mögliche Traumen können verblassen. Selbstbewusstsein und Selbstsicherheit lässt sich nicht befehlen, sondern muss von uns zutage gefördert werden.
Hunde, die stets ihre Emotionen hinter Signalen verbergen müssen, gibt es viel zu viele. Es ist oftmals unerwünscht, dass der Hund sein Unwohlsein oder seine Überforderung zeigt. Fairerweise lässt sich dazu sagen, dass es vielen Menschen tatsächlich nicht bewusst ist, wenn es ihrem Hund nicht gut geht. Ein Grund dafür ist fehlinterpretiertes Verhalten. So entscheidet der Mensch oft für seinen Hund, jedoch ohne den Fokus auf den Hund als fühlendes Individuum zu legen. Die Folge ist ein Mensch, der von seinem Hund fordert, die vorgegebenen Signale auszuführen um ein gut erzogener Hund zu sein.

 

Erziehung neu denken

Sollten wir uns nicht von dem Gedanken, was Erziehung in unseren Köpfen (noch immer) zu sein scheint, lösen? Dieser Begriff wurde leider unglaublich durch die NS-Zeit geprägt, in der es darum ging, emotions- und bindungslose Menschen heranzuziehen. Darauf sind auch Aussagen wie „da muss er jetzt durch“ oder „der gewöhnt sich schon daran“ etc. zurückzuführen. Es ist offensichtlich, dass sich dieses Gedankengut (sicherlich auch der längst widerlegten Dominanztheorie mitgeschuldet)  im Hundetraining ebenfalls manifestiert.

 

Hier scheint diese Vorstellung von Erziehung jedoch noch hartnäckiger zu verweilen. Hundetraining/-erziehung mit strenger Führung ist in vielen Köpfen (auch von vielen Nichthundemenschen) fest verankert.


Doch wie kann man diese tiefsitzende, teils prägende Begrifflichkeit aus unserer Vorstellung verbannen? Sicherlich mit Wissen. Wenn auch nur begrenzt. Man kann nicht von jedem Menschen verlangen, sich so intensiv mit diesen Themen auseinanderzusetzen, um für sich den Begriff Erziehung neu zu definieren.


Zumal auch ich mir in manchen Situationen noch schwertue, obwohl bereits umfassendes, wenngleich noch nicht vollständiges Wissen vorhanden ist, solche altmodischen Gedanken nicht in meinem Kopf aufflackern zu lassen. Vielleicht widerstrebt mir aus diesem Grund der Begriff "Erziehung" so dermaßen? Das ist gut möglich.

 

Dennoch finde ich, dass es Zeit ist für ein Umdenken und dazu zählt auch die Frage, ob der Begriff HundeERZIEHUNG überhaupt noch zeitgemäß ist oder ob man von der Wurzel weg den Umgang mit unseren Hunden neu definieren sollte - auch im Vokabular. Denn Sprache beeinflusst unser eigenes Denken und Handeln ebenso sehr wie das unserer Umwelt.

 

 

Barbara Orth

Ganzheitlich orientierte Hundeverhaltensberaterin

Zert. Trainerin für stressbedingte Verhaltensweisen beim Hund

Zert. Hundefitnesstrainerin

dzt. Studium der Kommunikationspsychologie

www.vöht.at/barbara-orth/

https://freiraum-mensch-hund.com

 

 

 

Anmerkung der VÖHT:

Die Blogtexte geben die individuelle Meinung und Herangehensweise der Autorin, des Autors wieder.